Sonntag, 25. November 2012

Einzeller

Das Leben eines Menschen ist im Wesentlichen von der Weiterentwicklung geprägt. Der Mensch wächst, er lernt, er altert. Die klügsten unter uns entwickeln nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Umwelt weiter, erfinden und verbessern. Und irgendwann kommt jeder an den Punkt, an dem diese Entwicklung sich dann wieder umkehrt. Wir werden schwächer, vergessen viele Dinge und sind schließlich wieder beinahe so hilflos wie im Säuglingsalter. Dafür ist vorgesorgt und der Lebensabend unzähliger Senioren ist bestimmt von Erwachsenenwindeln und diversen Hilfsmitteln, um sie von A nach B zu bringen - so, wie einst der Kinderwagen.

Offenbar versucht die Modeindustrie nun, erste Erfahrungen in Sachen Rückentwicklung schon früher in unser Leben zu bringen - mit der Erfindung des "One Piece". Diese Strampelanzüge für Erwachsene, wie sie -mutmaßlich- auch in der dunkelsten Fetischecke mancher Sexshops zu finden sein dürften (neben, genau, den Erwachsenenwindeln) stammen urspünglich aus Norwegen, sind dort angeblich bereits seit ihrer Erfindung vor einigen Jahren der letzte Schrei und sollen in dieser Saison nun auch ihren Weg in südlichere Gefilde finden.

Die Einteiler gibt es sowohl im quasi-klassischen Schnitt ohne Füße, als auch säuglingsgemäß mit wärmendem appliziertem Fußwerk. Ansprechen sollen sie vor allem Leute, die sich schon lange darüber ärgern, dass sie ihre Snuggle-Kuscheldecke (die mit den Armen, für Schatzibärchen und mich an unseren Twilight-Marathon-Abenden!) nicht auch auf der Straße tragen können. Jeder Mutter dürfte das Herz aufgehen, wenn sie ihren dreißigjährigen Sprössling endlich wieder im Babystrampler sehen darf.

Ich habe bereits mehrfach Stimmen dazu gehört, dass man sich diese stoffgewordene Sexappeallosigkeit ja zumindest "für zu Hause" anschaffen könnte. Sollte das tatsächlich passieren, werden auch hierzulande bald die ersten Winterhuder Hausfrauen "eben schnell zum Bäcker" in ihren Einteilern laufen, die Füße wie schon jetzt in ihren ultragemütlichen Ugg-Boots steckend. Dann nur kurz mit Charlene-Leandra auf den Spielplatz. Oder zum Bikram-Yoga-Kurs. Und ehe man es sich versieht, hat man wie der Schauspieler Ed Westwick den Sprung vom dandyesquen Chuck Bass zum Paparazzi-Foto im "One Piece" gemacht. Lösch meine Nummer aus deinem Handy, Ed.

Ich weiß, dass viele meiner geneigten Leser nur zu gern ihre enge, komplimentheischende Jeans gegen das ausgeleierte Trainings-Dings tauschen, sobald die Haustür hinter ihnen ins Schloss fällt. Geborgenheit, Gemütlichkeit; wenn man es nicht schafft, dass die eigene Wohnung dies ausstrahlt, muss es halt die Gammel-Hose tun. Falls die nun unbedingt gegen einen Strampler eingetauscht werden muss: Bitte. Aber beschwert euch nicht bei mir, falls der Partner urplötzlich viel lieber der Nachbarin beim Nacktkochen zusieht, als mit euch (jawohl, meine Damen, denn ihr seid die Risikogruppe) herauszufinden, was sich unter dieser kuschligen Schicht aus Nicki befindet.
Sollte ich allerdings demnächst irgendjemanden im Einteiler außerhalb der eigenen vier Wände antreffen, werde ich mir die Freiheit nehmen, demjenigen persönlich den Hintern zu versohlen. Natürlich, ganz wie die Gemütlichkeit eines "One Piece", im Sinne einer Hommage an die Kindheit.