Sonntag, 13. November 2011

Reit is wrong

Von uns Hamburgern weiß man, dass wir uns selbst gern als die Briten Deutschlands sehen. Das kann zum einen geschichtlich begründet werden, zum anderen mag es daran liegen, dass wir uns sowohl mit dem zwischenmenschlichen, als auch meteorologischen Klima des Inselvolkes identifizieren können.

Welche Gründe auch immer dafür verantwortlich sind, eines steht fest: gerade im Herbst kommt diese Einstellung besonders an die Oberfläche. An einem Novembertag sieht es in der Hamburger Innenstadt bisweilen aus, als hätte die Firma Barbour Care-Pakete in die Hansestadt geschickt: jeder zweite läuft in Wachs- oder Steppjacke herum. Plötzlich lassen sich Juristen nicht mehr anhand ihres Äußeren von anderen Berufsgruppen unterscheiden, weil insbesondere die Wachsjacke auch auf der okkupierenden, "schanze-gehenden" Ray-Ban-Wayfarer-Unterarmtattoo-Gesellschafts-Seite angekommen ist.

Tweed, tartan- und burberry-gemusterte Schals und Lambswoolpullover werden aus dem Schrank gekramt, genauso wie die perlohringbehängten Töchter der Stadt wieder zu ihren heiß geliebten braunen, kniehohen Reitstiefeln greifen (es wird bereits jetzt freiwillig darauf hingewiesen, dass ebensolche Stiefel auch im Schuhschrank des Verfassers weilen, die dieser jedoch eher selten mit Perlohrringen kombiniert. Ferner stammen sie von Ralph Lauren und sind daher über jeden Zweifel erhaben).

Kurz: niemand würde sich wundern, käme an einem solchen Tag plötzlich eine Jagdgesellschaft über den Neuen Wall geritten, auf der Suche nach einem Fuchs, stilecht in Schale geschmissen. Und dennoch scheint es in diesem Jahr Leute zu geben, die dieses spezielle Styling einen Schritt zu weit treiben.
Gestern durchstreifte ich ziellos die Innenstadt, als mir plötzlich eine ebensolche Person auffiel: eine junge Frau in Reiterhosen. Bereits vorher hatte ich immer häufiger Frauen gesichtet, die offenbar nicht mit der Bahn, sondern zu Ross in die Stadt gekommen waren: sie alle trugen nicht etwa Hosen mit Anlehnungen an den Reitsport, sondern es handelte sich stets um authentische, knallenge und mit Lederflicken bestückte Exemplare.

Die Dame gestern bildete keine Ausnahme. Natürlich war sie blond, natürlich trug sie Perlohrringe und natürlich ein Barbour-Jäckchen. Und eben die Reiterhose.
Unglücklicherweise besaß sie nicht das Gesäß einer Reiterin, sondern eher das eines Pferdes, was bei jedem Betrachter zwangsweise die Frage aufwerfen musste, wie sie es in die Hose geschafft und ob sie überhaupt noch Gefühl in den Oberschenkeln hatte. Ferner hatte sie sich nicht einmal die Mühe gemacht, Stiefel zu der Hose anzuziehen (um notfalls behaupten zu können, sie habe tatsächlich ihr Pferd gerade beim Tierarzt um die Ecke abgegeben), sondern trug schlicht Segelschuhe.

Exkurs für alle Reiter: ich bin mir des Unterschiedes zwischen echten Reitstiefeln und Pseudo-seht-her-ich-wäre-gern-Reiterin-Stiefeln durchaus bewusst. Bei uns Männern genügt allerdings schon die Tatsache, dass es sich um kniehohe Stiefel handelt, um das Attribut "Reiterin" zu vergeben (und im Kopf sofort Spiele mit Gerte und... aber das würde hier zu weit führen).

Die Hose hatte zudem bereits einige Schmutzflecken abbekommen, was den Eindruck vermitteln könnte, ihr Ross würde wirklich hinter der nächsten Ecke warten. Dagegen sprachen jedoch die etwa 7 Einkaufstüten in jeder Hand und die Tatsache, dass sie in die U-Bahn stieg.

Um es kurz zu machen: auch Reithosen sind Funktionskleidung. Und meine geneigten Leser wissen, was ich von Funktionskleidung halte. Möchte man sportliche, englische oder sonstwelche Anleihen in seinem Outfit zur Schau stellen, so halte man sich an die entsprechenden Designer, die die Kleidung dann zwar für den ursprünglichen Zweck unbrauchbar machen, es aber auch schaffen, den nötigen Chic zu addieren (lies: Taschen auf dem Hintern).

Wenn man allerdings die Hüften der oben beschriebenen Dame haben sollte, sei es empfohlen, die reiche-Töchter-Attitüde ganz anders zu vermitteln. Denkbar wäre zum Beispiel Papis Range Rover. Er ist hoch genug, damit von außen die Problemzone nicht zu sehen ist.

Dorian Gray:
- wechselt seinen Wohnort von Hackett rüber in die neue Tommy-Hilfiger-Boutique
- geht allmählich der Whisky aus
- entschuldigt sich abschließend für die Überschrift des Artikels

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