Mittwoch, 11. August 2010

Alt-modisch

Ursprünglich hatte ich geplant, meinen neuen Post der Katastrophe namens Männer-Sandale zu widmen - und der Tatsache, dass jetzt sogar von Gucci ein ebensolcher Schuh angeboten wird.

Meine geneigten Leser mögen mich nicht falsch verstehen, es geht hier nicht um die klassisch-ledernen Gladiatorensandalen (für Herren), wie sie beispielsweise Model und Hotelier Nicolas Malleville geradezu obsessiv sammelt. Die Rede ist von Trekking-Sandalen, die bei hochsommerlichen Temperaturen alljährlich wieder nicht nur an Pädagogen- und Touristenfüßen, sondern auch bei ansonsten annehmbar gekleideten Menschen wiederzufinden sind. Ein ebensolches Modell, mit "praktischem" Klick- und Klettverschluss (!!), welches am Besten in einem Regal des Campingausstatters Globetrotter aufgehoben wäre, bietet die Florentiner Modeschmiede zum irrwitzigen Preis von 395 Euro an. Man braucht sich allmählich nicht mehr zu fragen, warum es so viele schlecht angezogene Menschen gibt: selbst diejenigen, die ohne Stilbewusstsein herumlaufen und sich blind auf Labels verlassen, rutschen von der bloßen Stillosigkeit ins modische Dilemma ab.


aus: Gala MEN, Ausgabe Frühling/Sommer 2010

Man merkt, es fällt mir schwer, mich nicht weiter über derlei Traurigkeiten auszulassen. Doch vorgestern begegnete ich einem Phänomen, welches hier in Hamburg hauptsächlich in Werbeagenturen und in Eppendorf anzutreffen ist - und dem entschieden entgegengewirkt werden muss:

den "Junggebliebenen".

Ich war auf dem Rückweg von einem Abend mit dänischem Bier und Poolbillard bei A. und musste wegen Ersterem den Bus nach Hause nehmen. An der Haltestelle hieß es warten und ich rückte gerade das Einstecktuch in der Brusttasche meiner Lederjacke zurecht, als ich ein junges Pärchen auf mich zukommen sah, 19, vielleicht 20 Jahre alt. Zwar konnte ich ihre Gesichter in der Dunkelheit nicht erkennen, doch man kann schließlich anhand der Kleidung auf das Alter schließen, nicht war? Weit gefehlt.

Er, leicht dicklich, trug ein weißes Polo-Shirt unter einer dunkelblauen Sommerjacke. Dazu eine, gleichfalls dunkelblaue kurze Hose mit Taschen auf den Oberschenkeln. Seine Füße steckten in knallroten Hi-Top-Chucks. Seine Begleiterin verdeckte ihre Beine unter dem grüngelb geblümten Flatterkleid mit schwarzen Lederleggings, dazu - natürlich - Ballerinas, schwarz, mit Perlstickerei. Gegen die kalte Nachtluft hatte sie noch eine schwarze Lederjacke mit Bündchen an den Ärmeln angezogen. An ihrem Arm baumelte eine dunkelblaue Longchamp-Tasche.

Als das Pärchen dann näherkam, hätte ich mir beinahe ungläubig die Augen gerieben, wie es Comicfiguren ab und an tun, wenn sie etwas nicht fassen können. Sein steingraues Haar harmonierte ganz wunderbar mit ihren, zwar damenhaft versteckten, aber dennoch sichtbaren, Gesichtsfalten. Die Beiden waren mindestens 40, 45 Jahre alt.

Meine Leser dürften anhand der Outfitbeschreibung verstehen, weshalb ich mit meiner Schätzung so gründlich daneben lag. Man möge mich nicht falsch verstehen: es geht mir nicht um die Komponenten als solche. Nicht darum, dass Hi-Tops zur kurzen Hose ausschließlich von Basketballern (und Hip-Hoppern, die dann aber meist Basketball-inspiriert sind) getragen werden sollten. Nicht darum, dass ich - einige meiner Leser erinnern sich vielleicht - Leggings eine aus tiefster Seele kommende Antipathie entgegenbringe. Nein, es geht einzig darum, dass man das Altern akzeptieren muss - und sich zumindest altersgemäß kleiden sollte.
Meinetwegen können Menschen jeden Alters Bungee-Springen, Wakeboarden oder Rennwagen fahren, um sich jung zu fühlen. Aber bitte: niemand sollte in denselben Klamottenläden kaufen wie die eigenen jugendlichen Kinder. Frische Outfits, modische Outfits, extravagante Outfits: alles, bitte, ja. Aber "junge Styles" - nein, danke. Wer möchte schon sechzigjährige Damen im Minirock sehen, oder den Vorstandsvorsitzenden in Skinny-Jeans?

Das Pärchen saß mir dann im Bus schräg gegenüber. Die Frau warf mir, als ich sie kritisch musterte, ein Lächeln zu. Als Antwort zog ich bloß meinen klassischen, designtechnisch direkt aus den 50ern stammenden Bogart-Hut tiefer ins Gesicht. Denn gestrige Outfits sind keinesfalls aus der Mode. Ewiggestrig zu sein dagegen schon.


Dorian Gray:
- hat auf dem Flohmarkt einen lebensgroßen Karl-Lagerfeld-Pappaufsteller erstanden
- benötigt noch dringend Desert Boots für den jetzt immer häufiger einsetzenden Regen
- ist positiv überrascht von irischem Single-Malt-Whisky