Donnerstag, 25. März 2010

Germanisch-depressiv

Seit einigen Tagen mache ich ein kleines Experiment. Es läuft unter dem Titel "Wen würde ich photographieren, wäre dies hier ein Streetstyle-Blog?" und hat zum Inhalt - der geneigte Leser mag es schon ahnen - dass ich mir Leute auf der Straße ausgucke, deren Stil es wert wäre, an dieser Stelle erwähnt und gezeigt zu werden.

Man könnte annehmen, dass dies besonders jetzt, wenn der Frühling in der Hansestadt Einzug hält, ein äußerst leichtes Unterfangen sein dürfte. Die Sonne beschwingt die Leute, die dunklen, dicken Winterjacken verschwinden im Schrank und geben den Blick frei auf farbliche, stoffliche und kombinative Explosionen gleichermaßen... Doch weit gefehlt.
Die vorherrschenden Farben sind überall blau-schwarz; Denim unten, Schwarz oben. Bestenfalls wurde die dunkle, dicke Winterjacke gegen eine dunkle, nicht mehr ganz so dicke Übergangsjacke getauscht. Meine Tom-Ford-Sonnenbrille musste bisweilen herhalten, um die Tränen der Enttäuschung zu verbergen.

Vor kurzem erst habe ich einen Artikel über den Stil der Italiener gelesen. Die meisten darin enthaltenen Klischees waren solche, die sich letzten Endes meist doch bewahrheiten. Doch ansonsten kam der Italiener an sich recht gut weg. Wenn man darüber sinniert, so lassen sich den meisten Landsleuten bestimmte modische Gräuel zuordnen, doch gleichzeitig besitzt auch jedes Volk in gewisser Weise einen charakteristischen Stil. Das Gräuel war bei den Deutschen bisher immer die Sandalen-weiße-Socken-Kombination. Doch trifft das für Leute unter 60 noch zu? Und was ist dann der charakteristische deutsche Stil?

Auf die Gefahr hin, die riesige Zahl meiner geschätzten Leser auf einen Schlag rapide zu verringern: ich halte den typischen Deutschen modisch betrachtet für schlichtweg langweilig. Und ich glaube, dass die zwei Hauptursachen dafür 1. mangelnde Eitelkeit oder 2. schlechte Beratung sind.

Die Vertreter der ersten Gruppe haben entweder das Problem, dass sie zu wenig Zeit vor dem Spiegel verbringen. Ihr Aussehen ist ihnen egal und sie kaufen Kleidung aus purer Notwendigkeit, etwas anziehen zu müssen (dieser strenge gesellschaftliche Kodex heutzutage...), weshalb dann Dinge spazieren getragen werden wie diese farblich unmöglich zu bestimmende ("Ölschlamm"?) Strickjacke der Dame mit dem Mecki-Haarschnitt neben mir auf der Bank, die dies hier hoffentlich nicht lesen kann (oder vielleicht gerade einmal lesen sollte).
Oder aber, die Leute mit Problem Nummer 1 sehen sich einmal um und tragen dann, was alle anderen auch tragen; nicht, weil es ihnen gefällt, sondern um sich zu assimilieren. Deshalb laufen etwa 18.486.323 Mädchen und Frauen im Bundesgebiet in schwarzen Leggings, schwarzen Ballerinas und einem grauen T-Shirt-Kleid herum und in etwa ebenso viele Männer mit einer schwarzen Lederjacke mit Strickbündchen und der passenden G-Star-Jeans, die ihren Namen auf dem verlängerten Rücken in übergroßen Lettern preisgibt.

Gruppe Nummer 2 wiederum hat das Bedürfnis, sich gut anzuziehen, gerät dabei jedoch leider an modeberatende Verkäufer, denen die nicht vorhandene Lizenz entzogen werden sollte, weil sie Damen mittleren Alters in bunte Ringelshirts und schlecht sitzende Blazer zwängen.

Die Leute mit schlechtem Stil (die also Dinge, welche ich in diesem Blog durch den Dreck ziehe, kaufen, weil sie ihnen gefallen) habe ich erst einmal außen vor gelassen. Den Anderen sei gesagt, dass sie doch bitte noch einmal überlegen mögen, ob sie tatsächlich wie ein personifizierter Kik-Kleiderständer vor die Tür gehen wollen, nur weil sie zu faul sind, sich etwas mehr Mühe zu geben - oder dass sie mich einfach künftig um Rat fragen sollen.

Noch eine kurze Anmerkung zu meinem Experiment: bei der Suche seit dem vergangenen Freitag kam ich bisher auf die Zahl 6. Wer mir jetzt noch das Gegenteil der hier aufgeführten Thesen beweisen will, möge aussagekräftige Bilder schicken. Mit Nachweis über die Staatsangehörigkeit des Fotomodells. Denn Nummer 7 da drüben auf dem Gehweg zeigt mir gerade, dass man die Hoffnung nie aufgeben sollte.


Dorian Gray:
- bittet alle Besitzer von mp3-Playern, Handys und weiterem elektronischen Equipment, sich dieses künftig nicht mehr um den Hals zu hängen
- wird sich optimistisch mit einem Großvorrat an Sonnencreme eindecken
- wartet ungeduldig auf die "2" vorne bei der Temperaturangabe

3 Kommentare:

Lena hat gesagt…

lieber herr gossip guy...
Kann ich mir mal deine Tom Ford Sonnenbrille ausleihen? Auch ich zustimmend zur Kenntnis nehme, dass du modisch schon einiges auszuhalten hast in der hübschen Hansestadt, ich brauche sie garantiert dringender auf der Insel!!! Hatte ich schon erwähnt, dass Jeans-Leggins offensichtlich auch wieder in sind? oder dass Neonfarben auf jeden Fall dieser Jahr ein weiteres Comeback erleben werden?

Also ich werde dann demnächst anreisen, um mir die Brille mal auszuleihen. Ich bin mir sicher, dass du Verständnis zeigen wirst...

Dorian Gray hat gesagt…

Die korrekte Bezeichnung für die Jeans-Leggings ist "Treggings" (trousers+leggings), eine Sünde gegen die Natur und ein deutliches Beispiel dafür, dass offenbar einige Leute in der Modeszene auf Droge nicht arbeiten können.

Ich fürchte allerdings, dass ich die Brille nicht aus der Hand bzw. von der Nase geben werde... aber anreisen darfst du natürlich trotzdem (nicht, dass das in meiner Gewalt läge).

Lena hat gesagt…

ach ja, auch besonders in mode scheint die 80er jeans waschung zu sein...ich kann mich vor begeisterung kaum halten. und da ich deine tom ford brille offensichtlich nicht haben kann, nehme ich eben meine ray ban. ist eh viel cooler...