Donnerstag, 25. März 2010

Hosianna!

Vermutlich liegt es an den nahezu hochsommerlichen Temperaturen, doch heute fühle ich mich bemüßigt, noch ein zweites Mal meine Meinung kund zu tun. Auf meiner Tour durch die Innenstadt hat mich nämlich eine erschreckende Erkenntnis befallen, die es mir genau genommen nicht mehr erlaubt, irgendwo anders zu leben, als in den Tiefen der arabischen Wüste oder bei einem Lendenschurze tragenden Inselvolk:

Ich kann keine Jeans mehr sehen.

Meine geneigten Leser mögen mich nicht falsch verstehen; der Blick in meinen Kleiderschrank würde jedem offenbaren, dass ich sehr, sehr viel Geld für Denim gelassen habe. Ich mag meine Jeans auch wirklich gerne, besitze alle möglichen Blautöne (sowie grau und schwarz) und finde es äußerst praktisch, dass ich sie selbst zu den ausgefalleneren Oberteilen problemlos kombinieren kann. Aber mittlerweile ist die Jeans gewissermaßen der Kim Jong Il der Hosen und duldet kaum noch andere Beinbekleidungen neben sich. Im Geschäftssektor konnte sie dem Anzug aus verständlichen Gründen den Rang noch nicht abkaufen, doch selbst hier hat sie schon Einzug gehalten. Und sonst? Vereinzelt sehe ich Revolutionäre in farbigen Chinos herumlaufen und gratuliere B. an dieser Stelle noch einmal zum Kaufe der dunkelblauen Armani-Hose, die wirklich nur eine HOSE und sonst nichts ist. Aus dem Blickwinkel eines fünfjährigen Kindes (also auf Beinhöhe eines Erwachsenen) ist die Welt ansonsten ziemlich jeansblau.

Doch warum? Die Jeans ist der Allrounder unter den Hosen. Sie schafft es, eine gewisse Robustheit und das Gefeitsein gegen alle Widrigkeiten mit der Möglichkeit zu vereinen, sich noch immer modisch zu kleiden. Etwas, was sonst kaum ein Kleidungsstück schafft. Sie verleiht Sicherheit in jedweder Hinsicht. Und genau das ist auch gleichzeitig ihr Problem: man kann sie zerreißen, anmalen und umschneidern, wie man will, es bleibt doch immer nur eine Jeans. Und irgendwann wird sie langweilig. Sie kann zwar zeigen, dass der Träger sich modisch Gedanken gemacht hat - doch getraut hat er sich kaum etwas. Meiner Ansicht nach gehört ein wenig "living on the edge" zum Leben dazu. Den blütenweißen Dandy-Anzug zur Rotweinprobe tragen. Den Faltenrock zum Fotoshooting auf dem Windschacht. Und die knallrote Hose zum Stierkampf anziehen. Denn jeder weiß, dass Stiere nicht auf die Farbe, sondern auf die Bewegung reagieren. Gefährlich wird es also nicht. Solange man gut angezogen still sitzen bleibt.


Dorian Gray:
- ist es leid, sich drei weitere Stichpunkte für diesen Tag auszudenken
- tut es aber trotzdem
- wird jetzt zu Germany's Next Topmodel zurückkehren und Heidi Klums Schützlinge belächeln

Germanisch-depressiv

Seit einigen Tagen mache ich ein kleines Experiment. Es läuft unter dem Titel "Wen würde ich photographieren, wäre dies hier ein Streetstyle-Blog?" und hat zum Inhalt - der geneigte Leser mag es schon ahnen - dass ich mir Leute auf der Straße ausgucke, deren Stil es wert wäre, an dieser Stelle erwähnt und gezeigt zu werden.

Man könnte annehmen, dass dies besonders jetzt, wenn der Frühling in der Hansestadt Einzug hält, ein äußerst leichtes Unterfangen sein dürfte. Die Sonne beschwingt die Leute, die dunklen, dicken Winterjacken verschwinden im Schrank und geben den Blick frei auf farbliche, stoffliche und kombinative Explosionen gleichermaßen... Doch weit gefehlt.
Die vorherrschenden Farben sind überall blau-schwarz; Denim unten, Schwarz oben. Bestenfalls wurde die dunkle, dicke Winterjacke gegen eine dunkle, nicht mehr ganz so dicke Übergangsjacke getauscht. Meine Tom-Ford-Sonnenbrille musste bisweilen herhalten, um die Tränen der Enttäuschung zu verbergen.

Vor kurzem erst habe ich einen Artikel über den Stil der Italiener gelesen. Die meisten darin enthaltenen Klischees waren solche, die sich letzten Endes meist doch bewahrheiten. Doch ansonsten kam der Italiener an sich recht gut weg. Wenn man darüber sinniert, so lassen sich den meisten Landsleuten bestimmte modische Gräuel zuordnen, doch gleichzeitig besitzt auch jedes Volk in gewisser Weise einen charakteristischen Stil. Das Gräuel war bei den Deutschen bisher immer die Sandalen-weiße-Socken-Kombination. Doch trifft das für Leute unter 60 noch zu? Und was ist dann der charakteristische deutsche Stil?

Auf die Gefahr hin, die riesige Zahl meiner geschätzten Leser auf einen Schlag rapide zu verringern: ich halte den typischen Deutschen modisch betrachtet für schlichtweg langweilig. Und ich glaube, dass die zwei Hauptursachen dafür 1. mangelnde Eitelkeit oder 2. schlechte Beratung sind.

Die Vertreter der ersten Gruppe haben entweder das Problem, dass sie zu wenig Zeit vor dem Spiegel verbringen. Ihr Aussehen ist ihnen egal und sie kaufen Kleidung aus purer Notwendigkeit, etwas anziehen zu müssen (dieser strenge gesellschaftliche Kodex heutzutage...), weshalb dann Dinge spazieren getragen werden wie diese farblich unmöglich zu bestimmende ("Ölschlamm"?) Strickjacke der Dame mit dem Mecki-Haarschnitt neben mir auf der Bank, die dies hier hoffentlich nicht lesen kann (oder vielleicht gerade einmal lesen sollte).
Oder aber, die Leute mit Problem Nummer 1 sehen sich einmal um und tragen dann, was alle anderen auch tragen; nicht, weil es ihnen gefällt, sondern um sich zu assimilieren. Deshalb laufen etwa 18.486.323 Mädchen und Frauen im Bundesgebiet in schwarzen Leggings, schwarzen Ballerinas und einem grauen T-Shirt-Kleid herum und in etwa ebenso viele Männer mit einer schwarzen Lederjacke mit Strickbündchen und der passenden G-Star-Jeans, die ihren Namen auf dem verlängerten Rücken in übergroßen Lettern preisgibt.

Gruppe Nummer 2 wiederum hat das Bedürfnis, sich gut anzuziehen, gerät dabei jedoch leider an modeberatende Verkäufer, denen die nicht vorhandene Lizenz entzogen werden sollte, weil sie Damen mittleren Alters in bunte Ringelshirts und schlecht sitzende Blazer zwängen.

Die Leute mit schlechtem Stil (die also Dinge, welche ich in diesem Blog durch den Dreck ziehe, kaufen, weil sie ihnen gefallen) habe ich erst einmal außen vor gelassen. Den Anderen sei gesagt, dass sie doch bitte noch einmal überlegen mögen, ob sie tatsächlich wie ein personifizierter Kik-Kleiderständer vor die Tür gehen wollen, nur weil sie zu faul sind, sich etwas mehr Mühe zu geben - oder dass sie mich einfach künftig um Rat fragen sollen.

Noch eine kurze Anmerkung zu meinem Experiment: bei der Suche seit dem vergangenen Freitag kam ich bisher auf die Zahl 6. Wer mir jetzt noch das Gegenteil der hier aufgeführten Thesen beweisen will, möge aussagekräftige Bilder schicken. Mit Nachweis über die Staatsangehörigkeit des Fotomodells. Denn Nummer 7 da drüben auf dem Gehweg zeigt mir gerade, dass man die Hoffnung nie aufgeben sollte.


Dorian Gray:
- bittet alle Besitzer von mp3-Playern, Handys und weiterem elektronischen Equipment, sich dieses künftig nicht mehr um den Hals zu hängen
- wird sich optimistisch mit einem Großvorrat an Sonnencreme eindecken
- wartet ungeduldig auf die "2" vorne bei der Temperaturangabe

Freitag, 5. März 2010

Echo... cho... o... oh no!

Silbermond. Ich+Ich. Xavier Naidoo. Andrea Berg, die Kastelruther Spatzen... Diese Liste deutscher Musik-Giganten ließe sich noch lange fortsetzen, blickt man auf die Verleihung des ECHO-Musikpreises am gestrigen Abend. Alles Namen, die weltweit bekannt sind und für Kreischorgien bei Fans jeden Geschlechts und jeder Altersrichtung sorgen... Doch Spaß beiseite. Ein Mann, unglücklicherweise Hanseat wie auch der Verfasser dieses Blogs, wurde gestern gleich zwei Mal auf die Bühne geholt - und durfte auch noch performen: Jan Delay.

Im Geiste höre ich genau jetzt das missmutige Murmeln derer, die glauben, dass man Jan Phillip Eißfeldt (vulgo: Jan Delay) keinesfalls kritisieren sollte, ist er doch einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit, kann sich ausnehmend gut anziehen, seit er dem Hip-Hop-Streetstyle abgeschworen hat und so weiter.

Doch kann er das wirklich? Jan Delay trägt seit dem Durchbruch seiner Solo-Karriere von Kopf bis Fuß beinahe ausschließlich das -eigentlich stilistisch todsichere- Label Herr von Eden. Bei den GQ-best-dressed-Wahlen im letzten Jahr belegte er Platz 16. Doch es ist an der Zeit, mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Herrn Delay zu deuten; genauer gesagt auf seine Brusttasche.

Denn J.D. hat einen entscheidenden Fehler gemacht, der ihn mitsamt seiner himbeerfarbenen Anzüge der Lächerlichkeit preisgibt und dem totgetretenen Sprichwort vom Stil, den man nicht kaufen kann, ein weiteres Beispiel hinzufügt: das Muster seines Einstecktuches war identisch mit dem seiner Krawatte.

(c) n24.de

Mit dieser Schocktherapie könnte ich nun den Artikel beenden und sämtliche Delay-Fans weinend vor den Monitoren zurücklassen. Doch da ich von Natur aus gerne stichele (hätte das einer meiner geneigten Leser gedacht?), geht es noch ein bisschen weiter. Es sei gesagt, dass selbst Wikipedia, nicht gerade erste Anlaufstelle für die Fashionistas dieser Welt, in seinem Artikel über das Einstecktuch zu verstehen gibt, dass das Pochette "einen neuen Akzent" (Betonung liegt auf neu) setzen soll. Aufeinander abgestimmte Sets von Krawatte und Tuch sollten beim Herrenausstatter gemieden werden wie das Kloster Ettal von Schülern dieser Tage. Da kann man sein Einstecktuch gleich auf Pappe aufgesteckt und die Krawatte zum umknöpfen kaufen.

Da Delay seinen Hut aber auch mindestens zwei Nummern zu klein gekauft hat, möge es ihm nachgesehen werden. Sollte er dies hier lesen: ich biete mich gern zum nächsten Shoppingtermin als persönlicher Berater an. Und an alle weiblichen Fans: beim nächsten Konzert keine Unterwäsche werfen, sondern viele bunte hübsche Tücher. Dann hat er auch mal eine Auswahl. Ich jedenfalls werde das Einstecktuch nicht nur, wie angekündigt, bei Mänteln etablieren, sondern trage es auch zur Lederjacke. Nachahmung ausdrücklich erwünscht.


Apropos Nachahmung: zum Schluss ergeht noch eine Mitteilung in persönlicher Sache an denjenigen GQ-Redakteur, dessen Artikel auf Seite 122 der Frühjahr/Sommer 2010 Style-Ausgabe eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit mit meinem Blogeintrag vom 17.07.09 aufweist: beim nächsten Mal, wenn ich für euch schreiben soll, einfach anfragen. Mache ich dann auch gern. Doch, wirklich!


Dorian Gray:
- leidet seit der GQ-Affäre unter massivem Verfolgungswahn
- bekommt "alors on danse" nicht mehr aus dem Ohr
- wäre gerne schneiderisch begabt, um fortan nur noch Eigenkreationen zu tragen