Sonntag, 21. Februar 2010

Das letzte Hemd hat keine Taschen

Für gewöhnlich kann man es sich als international erfolgreicher Fashion-Blogger erlauben, über modische Extravaganzen herzuziehen und die ganz üblen Fauxpas außen vor zu lassen; denn diese begehen Leute, bei denen ohnehin meist Hopfen und Malz verloren ist. Doch ab und an begibt es sich, dass man von seinem virtuellen hohen Roß hinab in den modischen Schlamm steigen muss, um diese Leute aus selbigem herauszuziehen. Meine männlichen Mitmenschen werde ich nun zu diesem Zwecke wortwörtlich am Schlafittchen packen, denn es folgt eine Abhandlung über DAS Basic jedes Mannes:


Das Hemd.


Am vergangenen Freitag hatte ich mit L. das Ciu' an der Alster besucht (für alle Nicht-Hanseaten: ehemals - so etwa 2005-2007 - einer der In-Treffs für Hamburgs verwöhnte Snob-Jugend, heute vorwiegend von Innenstädtlern als Afterwork-Lokal genutzt.) Angetan mit meiner in Paris erworbenen Yves-Klein-blauen Hose hatte ich mit einem Glas Highland-Whisky in der Hand die Gelegenheit, einer meiner Lieblingstätigkeiten nachzugehen: Leute gucken. Wir saßen eingezwängt zwischen einem Pärchen, dessen männlicher Part bei der Wahl seiner Brille besser einen Blick auf meinen letzten Blogeintrag hätte werfen sollen, sowie einem Dreiergespann vietnamesischer Transvestiten auf der anderen Seite unseres Tisches. Eine dieser drei Damen war es dann auch, die die Aufmerksamkeit eines Mittvierzigers auf sich zog, der mit einem Freund über zwei Weizengläser gebeugt an der Bar Platz genommen hatte. Dieser Herr veranlasste mich dazu, einen tiefen, beruhigenden Schluck aus meinem Glas zu nehmen, denn sein Outfit war, im wahrsten Sinne des Wortes, untragbar.

Spontan würde ich darauf tippen, dass es sich bei ihm um einen mittelständischen Angestellten handelte, der tagein, tagaus zu große, schlotterige Anzüge mit dicken, hässlichen Nadelstreifen darauf und noch dickeren, noch hässlicheren Krawattenknoten darunter trägt. Doch für seine Freizeit hatte er sich etwas besonderes ausgedacht: sein grusligschlammfarbenkariertes Hemd trug er aus der Cargohose heraus hängend, um seine schier unglaubliche Jugendlichkeit zu demonstrieren. Als er zu dem Tisch mit den drei Grazien betont lässig herübergeschlendert kam, lächelte ihm sein Begleiter (das ebenfalls farblich undefinierbare Hemd selbstverständlich aus der Hose herausgezogen) bewundernd hinterher und nickte einen männlich-sinnierenden Gruß in sein Weizenbierglas. Die Abfuhr, die der mutige Verführer natürlich kassierte, hätte ich schon aus 500 Metern Entfernung voraussagen können.

Es ist eigentlich einfach, ein Hemd zu tragen, denn grundsätzlich kleidet es jeden Mann um ein Vielfaches besser, als es jedes andere Oberbekleidungsstück täte. Doch einige Regeln wollen auch hier beachtet werden. Zuvorderst steht hier nun einmal, dass man ein Hemd in die Hose steckt. Und zwar immer. Der Prozentsatz von Leuten, die ihr Hemd auch aus der Hose hängend tragen können, ist verschwindend gering; diese Männer sehen dann aber auch einfach so gut aus, dass sie - beinahe - alles tragen könnten und es egal ist, ob sie überhaupt eines anhaben. Hemd-aus-der-Hose trägt man mit 14 Jahren, um dagegen zu rebellieren, dass Mutti einem das Hemd früher eben immer in die Hose gesteckt hat. Spätestens zwei Lebensjahre später sollte man sich wieder besonnen haben. Und an die Männer, die glauben, damit ihren Bauch oder sonstwas kaschieren zu können: klappt ohnehin nicht. Geht trainieren oder steht dazu.

Die Musterwahl fällt leicht: Uni, Streifen, oder Karos. Fertig. Kein Paisley, keine Bildchen. Keine Punkte. Niemand will wie ein farbirritierter Marienkäfer aussehen. Für Karos allerdings gilt, dass sie nicht an kanadische Holzfäller erinnern sollten. Außer, der Träger ist kanadischer Holzfäller. Oder hat zumindest dessen Aussehen (über 1,90m groß, Preisboxer-Kreuz). Jeder sonst wirkt in rot-grünen Flanellkaros wie der wiederauferstandene Sänger einer gewissen Grunge-Band.

Bei den Farben sollte darauf geachtet werden, dass sie klar sind. Ich habe gegen braune Hemden absolut nichts, es sei denn, sie erinnern mich an den Streusand-Matsch auf den Straßen dieser Tage. Sonst ist erlaubt, was gefällt (an alle Anwälte, die jetzt mit ihrem pinken Hemd in der erzkonservativen Großkanzlei unangenehm auffallen: auf den Anlass darf geachtet werden).

Zu guter Letzt: der Schnitt. Jedes Hemd sollte körperbetont sitzen, natürlich sollte jedes Kleidungsstück gut sitzen. Doch bei Hemden tritt, insbesondere bei Anzugträgern, gelegentlich das Phänomen auf, dass die Besitzer meinen, das Hemd sei ja ohnehin nur "zum druntertragen" und könne auch etwas flattern. Kann es nicht. Darf es nicht. Die Ärmel werden zwangsläufig zu lang sein, was auffällt, die Brust wird Falten werfen. Und zu Kurzarm-Hemden muss ich nicht wirklich etwas schreiben, oder?

Eigentlich alles gut zu verstehen und zu befolgen. Im Ciu' jedenfalls war ich in Gedanken bereits aufgestanden, hatte den Herrn gestoppt, ihm schnell mein Brooks-Brothers-Hemd geliehen (und in den Hosenbund gestopft), ein paar gute Worte mit auf den Weg gegeben und sein Weizenglas gegen einen Tumbler vertauscht, um seinen Anbandelungsversuch zum Erfolg zu führen. In der Realität bewegte ich mich natürlich keinen Zentimeter, sondern genoss das klägliche Scheitern des Flirts, um süße Rache für die aufgestellten Härchen in meinem Nacken zu nehmen, die sein Outfit verursacht hatte.


Dorian Gray:
- prophezeit einen rasanten Sturz des McQueen-Labels
nach dem Ableben seines Schöpfers
- wünscht dem Winter alles Gute auf seiner hoffentlich baldigen Reise aus der Stadt
- möchte Einstecktücher auch bei Mänteln propagieren