Dienstag, 26. Januar 2010

Lunettics

Um den diversen modischen Eigenheiten meiner Heimatstadt zeitweise zu entrinnen, verbringe ich momentan eine Woche in Paris, der Fashion-Metropole par excellence. Es ist wirklich auffällig, wie viel besser die Menschen hier angezogen sind. Dabei muss es noch lange nicht meinen Geschmack treffen (beileibe nicht, allmählich kann ich keine Hochwasser-Hosen mehr sehen), aber, um es mit B.s Worten auszudrücken: die Leute geben sich mehr Mühe. Jeder versucht, auf seine Weise individuell-gut angezogen zu sein (Betonung: versucht) und selbst ich könnte hier meine so verpönten (dies richtet sich an meine Stamm-Leser) Ralph-Lauren-hunting-boots tragen, ohne etwas anderes als Applaus und Jubelrufe an jeder Ecke zu verursachen. Gewissermaßen.

Bemerkenswert war bereits der Flug zur Seine: selbst die Deutschen im Flieger waren besser angezogen als der Bundesdurchschnitt (mit Ausnahme des Bootcut-Jeans-Mannes mit den roten Puma-Turnschuhen und den dazugehörigen weißen Tennissocken, der sich schämen sollte, mit mir in einem Flugzeug, ja, in einem FlugHAFEN zu verweilen und der die Erwähnung in diesem Post beileibe nicht verdient hat! Außerdem eine Botschaft an den Prada-Mann, der ebendiese Marke ohne Ausnahme von Kopf bis Fuß trug, ja sogar das Prada-Handy zückte: Miuccia mag eine tolle Designerin sein, aber sie ist nicht unfehlbar. Insbesondere was diese Surfschuh-artigen Stiefel angeht. Falls das Outfit beruflich vorgeschrieben sein sollte und Sie für die Dame arbeiten: andere Stücke aus der Kollektion wählen. Oder Jobbörse konsultieren.)

Wie dem auch sei, ich habe die ersten Tage in der Stadt genossen, das volle Touristen-Programm absolviert - und natürlich mein gesamtes Vermögen, meine künftigen Erben mögen es mir nachsehen, in Mode investiert. Doch ich könnte diesen Blog auch genauso gut in die virtuelle Tonne treten, würde mir nicht auch hier, im babylonischen Schmelztiegel der Stilrichtungen, etwas gegen den Strich gehen:

die Streberbrille.

Meine geneigten Leser dürften wissen, wovon ich schreibe, denn dieser klägliche Versuch, sich optisch intelligent zu geben, füllt auch hierzulande (aus Sicht des Verfassers derzeit: dortzulande) die Modemagazine und Innenstädte. Doch ici scheint tout Paris zu versuchen, diese woody-allenesque Gesichtsbeleidigung, Modell Ray-Ban-Wayfarer oder größer, zu etablieren (da es sich um TOUT Paris handelt, ist die Streberbrille per definitionem hier offensichtlich schon etabliert, doch da ich wie immer subjektiv auf meine persönliche Ansicht Bezug nehme, weigere ich mich schlicht, dies zu akzeptieren).
Frauen mit der Ausstrahlung der Bardot in den Sechzigern, Männer mit den Gesichtszügen des jungen Alain Delon, sie alle glauben, ihre Outfits mit diesem, meist schwarzen Kassengestell des Grauens ruinieren zu müssen. Ich bin außerdem überzeugt, dass bei mindestens der Hälfte aller Brillenträger nur Fensterglas zwischen die zweifingerdicken Gesichts-Zensurbalken gespannt ist.
Es ist ja gut und schön, wenn man dazu steht, dass man eine Brille benötigt - aber wenn mir Menschen entgegenkommen, bei denen ich mich frage, ob sie eine versteckte Kamera à la "Akte 09" auf der Nase tragen, dann fühle ich mich nicht nur unangenehm oft gefilmt, sondern kann auch jedes noch so schön komponierte Outfit nur unter Vorbehalt genießen.

Auf dem Weg ins Marais begegnete ich einem Herrn mittleren Alters, Typ Rechtsanwalt oder Steuerberater. Korrekt sitzender Anzug, dezente Krawatte, elegantes Einstecktuch. Auf der Nase eine goldgefasste, dünn gerahmte runde Brille. Es ist wahr: Gold ist zu jeder Zeit eine klassisch-sichere Anlagemöglichkeit. Auch, was Brillen angeht.


Dorian Gray:
- hat seinen Hemden-Horizont von Streifen auf Karos erweitert
- empfiehlt künftigen Paris-Besuchern das "Showcase", aber erst nach drei Uhr morgens
- freut sich über die Vielzahl männlicher Taschenträger hierorts

4 Kommentare:

ChiliLilli hat gesagt…

Einige Kommentare:
1. Gesichtszensurbalken? Ich hoffe, dass du 100% nur die Streberbrillenträger so bezeichnest (eigentlich auch nur die, die nur Fensterglas tragen), sonst könnte ich doch ein eher unangenehmer Zeitgenosse werden...ich hasse Brillenträgerbeleidigungsspitznahmen.
2. Niemand macht sich über deine 'hunting boots' lustig. Gut, wir jubeln auch nicht immer, aber ich weiß, dass sich einschlägige Hotels über dieses Outfit freuten und die Frau neben Dir fand (und findet) das zu diesem Anlass auch sehr passend.
3. Karos? Ich bin gespannt.

Dorian Gray hat gesagt…

1. Ich beleidige nie auch nur irgendjemanden. Ich provoziere und polarisiere mit meiner beleidigenden Meinung. Und da ich eine andere Brille positiv hervorhob, kann ich gar nicht Brillenträger allgemein meinen.
2. Niemand...? Und ich verkehre nicht in einschlägigen Hotels.
3. Westphal.

Anonym hat gesagt…

*gähn*

Dorian Gray hat gesagt…

Äußerst inhaltsschwanger, dieser Kommentar... Wie ärgerlich, dass er anonym verfasst wurde. Obwohl - wer heutzutage noch diese Sternchen-Bildsprache nutzt... *lach* *denk* *post*