Mittwoch, 16. Dezember 2009

Satanische Verse in der Handelskammer

Ich gebe gleich zu Anfang zu, dass ich meinen Blog geradezu sträflich vernachlässigt habe und entschuldige mich ausdrücklich bei meiner gigantischen Leserschaft für die Zeit des Darbens. Fakt ist zwar, dass mir in der Zwischenzeit genug Leute begegnet sind, die eine öffentliche Rüge und anschließende Geißelung verdient hätten (um nur einige zu nennen: Gummistiefel en masse, die wiederholte Rückkehr der Uschanka und die Dame mit den Overknees zum Chanel-Kostümchen, die aussah, als spiele sie die unartige Schülerin im Rektorzimmer), doch erstens ließ die Inspiration auf sich warten und zweitens muss man über einige menschenrechtsverletzende Modekatastrophen hinwegsehen können, um nicht permanent in Tränen auszubrechen. Insbesondere im Winter laufen nämlich beunruhigend viele miserabel angezogene Gestalten herum.

Gestern Abend jedoch war ich auf einem Vorstandstreffen. Ich saß F. gegenüber, der das grundsätzliche Problem hat, bar jeden Stilwissens zu sein (nicht nur, dass er schlechtsitzende Anzüge und quadratische Slipper trägt, nein, er glaubt auch, mich damit beeindrucken zu können, wenn er mir von seinem sechsstelligen Jahreseinkommen berichtet und vom Kauf seines neuen 5er BMWs. Man protzt nicht. Zumindest nicht auf diese niveaulose Art.). Jedenfalls verlor ich mich gerade träumerisch in dem 3D-Bild-artigen Muster seiner Krawatte, als eine Einladung der Handelskammer Hamburg herumgereicht wurde. Anlass war die "Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns", eine altehrwürdig hanseatische Institution.

Prinzipiell mag ich Events, die nach mehreren Jahrhunderten riechen und so besah auch ich mir die Einladung genauer. Angegeben war ein Dresscode, der das Faß meines modischen Verständnisses überlaufen ließ und mich zu diesem Post veranlasste. Es stand geschrieben:

Dunkle Kleidung ist erwünscht.

Ist es tatsächlich schon so weit mit formellen Anlässen gekommen? Ich habe mich zähneknirschend damit abgefunden, dass im Casino auch am Wochenende keine Sakkopflicht mehr herrscht und Anwälte in Jeans und Rollkragenpullover unter einer abgewetzten Robe im Gericht auftreten. Aber "dunkle Kleidung"? Treffen sich in der Handelskammer neuerdings Gothic-Anhänger zu einem gemütlichen Leseabend des Necronomicons bei Tee und Plätzchen? Hat der Schwarze Block seine Jahresversammlung dort angesetzt?

Wer die Bekleidungsregeln für solche Abendveranstaltungen festlegt, möge es doch bitte dann ganz sein lassen. Ich kann mir gut vorstellen, wie diejenige Person über dem Einladungsentwurf brütet und keine Lust hat, schon wieder ein Leihsakko zu bezahlen. Und dann die wundervollen anthrazitfarbenen, schwarzen und dunkelbraunen Hemden im Kleiderschrank findet, eines anzieht, in der schwarz-verwaschenen Jeans vor dem Spiegel steht und denkt: Junge, siehst du fesch aus. Und der Haifischkragen bringt das Herr-der-Ringe-Amulett so vorteilhaft zur Geltung. Frau Hahnkamm aus der Buchhaltung wird ihre Finger nicht von dir lassen können! Und schon ist so eine peinlich informelle Kleidungsvorschrift entstanden.

Eigentlich sollte ich aus purem Trotz in einem nagelneuen Tom-Ford-Smoking an der Versammlung teilnehmen und den Dresscodeerfinder mit einem huldvollen Nicken auf seinen Platz verweisen. Leider war die Einladung veraltet und das sicherlich aus modischer Hinsicht katastrophal verlaufene Event bereits vorüber. Ich musste mich also damit begnügen, beim Schreiben dieses Artikels meine neue Fliege zu tragen und einen Tumbler mit gutem Whisky in der Hand zu halten. Um kurz vor zwei Uhr nachmittags.


Dorian Gray:
- hat in den letzten Wochen seine handwerklichen Fähigkeiten perfektioniert
- bewundert den Herrn vom Samstagabend, der das Rauchen zu einer hohen Kunst erhoben hat
- kann es kaum erwarten, im Januar in Paris die ultimative modische Erfüllung herbeizushoppen