Donnerstag, 1. Oktober 2009

Aussageverweigerungsrecht

"Meine Alten waren im Urlaub auf Sylt - und alles, was sie mir mitgebracht haben, ist dieses lausige T-Shirt."

So lautete der Spruch auf dem Oberbekleidungsstück, für das ich M. aus meiner Grundschulklasse so sehr beneidete. Ich bettelte und flehte bei meinen Eltern, ob sie mir nicht auch so ein Shirt voller Witz, Esprit und Ironie auf der Insel kaufen könnten, doch sie blieben erbarmungslos. Leider hatte ich noch kein eigenes Einkommen, denn es waren die frühen 90er Jahre und Arbeit war bei Achtjährigen eher unüblich.

Rückblickend bin ich meinen Eltern wirklich, wirklich dankbar, dass sie sich geweigert haben, ein T-Shirt mit aufgedrucktem Spruch zu kaufen. Denn Klamotten mit -geschriebener- Aussage sind, ebenso wie Schuhe mit Blinklichtern an der Hacke, der Macarena-Tanz und eben der Ausdruck "meine Alten", trauriges Zeugnis der Neunziger - und sollten auch dort bleiben.

Doch leider begegnet man auch heute noch Verfechtern, die die Überzeugung "meine Kleidung muss etwas aussagen" etwas zu wörtlich vertreten. Im letzten Monat begegnete mir zwei Mal der "Waschbärbauch", jeder Dorfjugend-Junggesellenabschied (ich verzichte dankend auf die politisch korrekte "/-innen" Anpassung) schmückt sich mit "Game Over", "letzter Tag in Freiheit", oder einfach nur "Jürgen", "Manni" und "Die Ann-Kathrin".

Exkurs - An dieser Stelle ein Hinweis an den künftigen Ausrichter meines Junggesellen-Abschiedes: sollte an diesem Tag jemand mit einem "lustigen" T-Shirt auch nur in meine Nähe kommen wollen, sollte er zuvor seinen Frieden mit der Welt geschlossen haben. Ich werde ein Hemd, je nach Anlass gegebenenfalls kombiniert mit einem Sakko tragen. Oder nichts. Nichts wäre auch in Ordnung.

Warum nur trägt man zu diesem eigentlich doch freudigen Anlass T-Shirts, die die Hochzeit als schlimmstmögliche Zukunftsvorstellung darstellen? Sollte man dann nicht noch einmal über die Vermählung per se nachdenken? Mit dieser Einstellung in die Ehe zu gehen, dürfte auch für den Partner ein eher zweifelhaftes Vergnügen sein. Und ja, ja, ich höre schon die Stimmen der alkoholisierten Feierwütigen: "Das ist doch ironisch gemeint!"
Kleidung sollte niemals ironisch gemeint sein. Denn die Ironie erschließt sich mit Sicherheit nicht auf den ersten Blick, wahrscheinlich sogar niemals (schließlich sollte man sich mal ansehen, wie andere Menschen so rumlaufen, die keinesfalls ironisch sein wollen...), was zur Folge hätte, dass jeder Ironiker am Besten eine Mütze tragen sollte, auf der geschrieben steht, dass sein Outfit bzw. die damit verbundene Aussage ironisch gemeint sind. Womit wir wieder bei der Aufschrift auf Kleidung wären. Und wer weiß dann, dass diese Mütze nicht auch wieder ironisch gemeint ist?

Meine geneigten Leser dürften das Problem also sehen. Kleidung mit Aufschrift sollte Leuten wie der "Feuerwehr" oder der "Polizei" überlassen werden. Doch leider hat die Aussagekraft auf T-Shirts nun auch in der -preislichen- Oberklasse Einzug gehalten. Ich zitiere von der Homepage einer in der Innenstadt gelegenen Einkaufspassage:

"Die Kollektion aus Shirts, Jacken, Blusen & Hemden, sowie Sweats - teilweise opulent verziert mit dem Feinsten des Feinen: CRYSTALIZED / Swarovski Elements - war bisher nur in Berlin erhältlich."

Ich lasse desweiteren ein Bild sprechen, weil ich nicht wüsste, wo ich anfangen soll, wüst über den beschriebenen Laden herzuziehen, der besser in Berlin hätte bleiben sollen.


So. Die Aussage über das "Feinste vom Feinen", die "Crystalized Elements", übergehe ich mal geflissentlich. Aber: "Großstadt-Adel"? Zu welchem Anlass konkret trägt man das? Wenn man auf dem Dorf die oben erwähnten Junggesellen beeindrucken möchte? Im Übrigen gehe ich davon aus, dass etwa 100% der Träger, wie auch die Designer dieser Jacke den "Gotha" noch nicht mal von weitem eingesehen haben, geschweige denn darin Erwähnung finden.

Ich möchte meine geschätzten Leser außerdem auf das beinahe unauffällige Top auf der linken Seite aufmerksam machen. "Save the Animals: Den Nerz im Schrank / Den Jaguar in der Garage / Den Hengst im Bett"
Die silikonbebrüsteten (wie kommt mir bloß dieses Bild in den Kopf...?) Trägerinnen dieses Meisterwerkes werden unter Garantie nur höchstens zwei der beschriebenen Tiere haben. Sind es die ersten beiden, liegt im Bett ein Manati mit dickem Bankkonto - der junge Hengst soll dann auf diese überaus ansprechend-frivole (an dieser Stelle setze ich mein "Ironie"-Mützchen wieder ab) T-Shirt-Aussage anspringen.
Die Alternative ist die Frau, die nichts von alledem hat und die, dank des Humors eines Bierkutschers (an dieser Stelle ein Gruß an alle noch lebenden Vertreter dieses Berufsstandes) den Spruch urkomisch findet und ihn ganz hervorragend zu ihrem, ebenfalls Swarovski-besetzten, Ed-Hardy-Cap kombinieren kann. Oder eben zu Hengst-Mannis "Waschbärbauch"-Shirt, wenn er neben ihr läuft. Der Waschbär ist schließlich auch ein possierliches Tierchen.


Dorian Gray:
- hat endlich die perfekte Lederjacke gefunden
- musste heute schon zum zweiten Mal ohne Anwaltszulassung vor Gericht auftreten
- dankt dem "promovierten Volkswirt" vom Neuen Wall für seine wirren Ausführungen über politische und wirtschaftliche Verhältnisse